Hintergrund
Das Arbeitssicherheitsgesetz (ASIG) verpflichtet Arbeitgeber(innen), sich bei der Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes arbeitsmedizinisch und sicherheitstechnisch beraten zu lassen. In der DGUV Vorschrift 2 wird diese Verpflichtung konkretisiert und die möglichen Betreuungsformen trägerspezifisch ausgestaltet. Ziel ist es, Unternehmer(innen) bei der Reduktion arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und der Schaffung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Durch die verschiedenen Betreuungsmodelle soll eine den Betriebsverhältnissen entsprechende Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes gewährleistet und ein hoher Wirkungsgrad erreicht werden. Derzeit gibt es für Unternehmen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege 3 Möglichkeiten, die betriebsärztliche und sicherheitstechnische (BuS) Betreuung entsprechend der DGUV Vorschrift 2 umzusetzen: Regelbetreuung für Betriebe mit bis zu 10 Beschäftigten, Regelbetreuung für Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten, alternative bedarfsorientierte Betreuung mit bis zu 50 Beschäftigten [
13].
Neben der Bestellung von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten (BA) und Fachkräften für Arbeitssicherheit (Sifa) sowie der Durchführung von Unterweisungen gilt die Gefährdungsbeurteilung (GBU) als Kernprozess des betrieblichen Arbeitsschutzes [
18]. Diese Vorschriften/Regelungen gelten für alle Betriebe ab einem Beschäftigten. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung (ASIG 1973; Arbeitsschutzgesetz [ArbSchG] 1996) wäre inzwischen eine flächendeckende Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben zu erwarten. Einzelne Untersuchungen berichten jedoch über erhebliche Mängel insbesondere in Kleinst- und Kleinunternehmen mit bis zu 10 bzw. 50 Beschäftigten, sowie in mittleren Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigen (KMU; Klassifikation nach Destatis [
11]). Nach Studien auf Basis von Telefoninterviews (mit 6500 Unternehmen) und auf Basis von Betriebsbegehungen durch Gewerbeärztinnen und Gewerbeärzte (in 653 Unternehmen) fehlte in knapp 47,0 % [
18] bzw. 40,3 % [
10] der Unternehmen eine GBU. Defizite bei der Durchführung von GBU zeigten sich insbesondere bei Kleinstbetrieben, bei denen in 56,6 % [
10] bzw. 57 % (95 % Konfidenzintervall [KI] 54–60; [
18]) der Betriebe keine GBU vorhanden war.
Für Kleinstunternehmen zeigte sich zudem, dass eine fehlende arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung signifikant mit Arbeitsschutzmängeln assoziiert war [
10]. Verschiedene Ursachen wie fehlende Kenntnisse zu den gesetzlichen Vorgaben [
20], wirtschaftliche und personelle Rahmenbedingungen von Kleinstbetrieben [
18], fehlende unterstützende Stabsfunktionen zur innerbetrieblichen Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen und der finanzielle Spielraum beeinträchtigen die Umsetzung der DGUV Vorschrift 2 in Kleinstbetrieben [
4]. Darüber hinaus kann der bestehende Mangel an Arbeitsmediziner(innen) die Realisierung eines Betreuungsmodells erschweren [
3].
Über 90 % der in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) versicherten Betriebe sind Kleinstunternehmen [
14]. Vor dem Hintergrund der Ressourcenengpässe in der arbeitsmedizinischen Betreuung und dem Anspruch, künftig bundesweit allen BGW-Betrieben einen Zugang zu einer flächendeckenden BuS-Betreuung zu ermöglichen, sollte ein neuer Betreuungsansatz im Rahmen eines Modellversuchs erprobt werden. Als geeignet hierfür wurde die „Alternative bedarfsorientierte betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung in Betrieben mit bis zu 10 Beschäftigten durch Kompetenzzentren“ gemäß § 2 Abs. 4 – entsprechend der Anlage 4 – der DGUV Vorschrift 2 eingeschätzt [
13]. Mit der BuS-Betreuung durch Kompetenzzentren (KPZ) war die Erwartung verknüpft, die Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes insbesondere in den kleinen Betrieben zu verbessern. Um eine Grundlage für die Entscheidung über die flächendeckende Einführung der Betreuung durch Kompetenzzentren als vierte Betreuungsform zu haben, wurde die Wirksamkeit dieser BuS-Betreuungsform in Bezug auf das Arbeitsschutzniveau im Rahmen einer Evaluationsstudie untersucht.
Laut DGUV Vorschrift 2 besteht die BuS-Betreuung durch Kompetenzzentren aus Motivations- und Informationsmaßnahmen sowie der Inanspruchnahme der bedarfsorientierten Betreuung [
12]. Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen erfolgt durch den jeweiligen Unfallversicherungsträger. Bei der BGW setzte sich dieses Betreuungsmodell aus 3 Bausteinen zusammen: einem Online-Kurs zum branchenspezifischen Arbeitsschutz, einer betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Beratung im Betrieb (BiB) und dem Angebot der bedarfsorientierten Betreuung, in den nächsten 5 Jahren bei Fragen zum betrieblichen Arbeitsschutz die Expertise der Kompetenzzentren zu nutzen. Den Unternehmen entstanden im Rahmen der Studie für die betriebliche Beratung keine Kosten.
Der Modellversuch wurde in Kooperation mit der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) durchgeführt, die diese Betreuungsform ihren Mitgliedsunternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten bereits seit 2002 anbietet [
6]. Im Rahmen der Kooperation mit der BGN wurden 2 Kompetenzzentren ausgewählt, die in den Modellregionen bereits für die BGN tätig waren. Diese Kooperation wurde angestrebt, um die Synergieeffekte zu erfassen, die sich für die Kompetenzzentren durch die Betreuung von Betrieben zweier Berufsgenossenschaften ergeben. Dieser Aspekt ist jedoch nicht Teil dieser Publikation.
Die Evaluation hatte 2 Ziele: erstens das Arbeitsschutzniveau in Unternehmen vor und nach Einrichtung einer BuS-Betreuung durch Kompetenzzentren zu ermitteln; zweitens das Arbeitsschutzniveau zwischen KPZ-betreuten Unternehmen und Unternehmen mit anderen Betreuungsformen zu vergleichen sowie diesen Gruppenvergleich auch auf Branchenebene durchzuführen.
Methodik
Studiendesign und Studienpopulation
Die Evaluation bestand aus der Kombination einer Interventions- und einer Querschnittstudie. Zielgruppe für die Interventions- und Querschnittstudie waren die Unternehmensleitungen. In der Interventionsstudie wurde das Arbeitsschutzniveau vor und 6 bis 12 Monate nach den Interventionsmaßnahmen (T0 bzw. T3) verglichen. Befragungen zur Bewertung der Maßnahmen (Online-Kurs und BiB) wurden jeweils 2 Wochen nach Inanspruchnahme durchgeführt (T1 bzw. T2). In der gleichzeitig laufenden Querschnittstudie wurde das Arbeitsschutzniveau zwischen Unternehmen mit BuS-Betreuung durch Kompetenzzentren zum Zeitpunkt T3 mit dem in Unternehmen mit anderen Betreuungsformen verglichen.
Die Studie wurde in 2 Modellregionen (Nordwesten/Südosten Deutschlands) durchgeführt. Die Unternehmen der KPZ-Gruppe wurden aus dem Pool der bei der BGW versicherten Kleinstunternehmen gezogen, für die kein BuS-Betreuungsnachweis vorlag. Eingeschlossen wurden Branchen mit „typischer“ KKU-Struktur: Friseurhandwerk, Kinderbetreuung und humanmedizinische Praxen. Somit war eine Branchenheterogenität in diesem Projekt gegeben. Voraussetzung für die Teilnahme an dem KPZ-Modell war, dass eine schriftliche Einwilligung der Unternehmensleitung zur Teilnahme an der Evaluationsstudie und der Baseline-Befragung vorlagen.
Die Unternehmen der Vergleichsgruppe (VG) wurden aus dem Pool der BGW-Unternehmen gezogen, für die ein BuS-Betreuungsnachweis entweder für die Regelbetreuung nach DGUV Vorschrift 2, Anlage 1, oder die alternative bedarfsorientierte Betreuung nach DGUV Vorschrift 2, Anlage 3, vorlagen. Für die Stichprobenziehung lagen die Unternehmen der ausgewählten Betreuungsformen als Excel-Liste in unsortierter Reihenfolge vor. Die Ziehung erfolgte in SPSS als einfache Zufallsstichprobenziehung.
Für die eingeschlossenen Unternehmen galt, dass sie zu einer der 3 Studienbranchen gehörten, 1 bis 10 Beschäftigte hatten und nicht in einer der beiden Modellregionen ansässig waren. Des Weiteren musste für den Zeitpunkt der Umsetzung der BuS-Betreuung zutreffen, dass sich die Meldung der Regelbetreuung und die Durchführung der ersten Unternehmerschulung auf einen Zeitraum 6 bis 12 Monate vor dem Befragungszeitpunkt bezog bzw. erfolgt war.
Akquise und Datenschutz
In der Interventionsstudie erfolgte die Kontaktaufnahme im Rahmen der routinemäßigen postalischen Aufforderung zum Nachweis einer vorhandenen BuS-Betreuung. Unternehmen ohne BuS-Betreuung hatten die Möglichkeit das KPZ-Modell als Betreuungsform zu wählen. Die Zusendung der Studienunterlagen erfolgte postalisch zwischen 2018 und 2020 zeitversetzt für die einzelnen Branchen (Friseurhandwerk ab 07/2018, Kinderbetreuung ab 07/2019, humanmedizinische Praxen ab 01/2020). Unternehmen, von denen nach einer 4‑wöchigen Frist keine Rückmeldung vorlag, wurden erneut zunächst schriftlich und dann telefonisch kontaktiert und um Rücksendung der Studienunterlagen bzw. um Angabe der Gründe für die Nichtteilnahme an der Studie gebeten.
Die Rekrutierung der VG erfolgte im September 2019 mit Unternehmen, welche die Regelbetreuung und im Februar 2019 mit Unternehmen, welche die Alternativbetreuung gewählt hatten.
Die Durchführung dieser Studie wurde von der Datenschutzbeauftragten der BGW begleitet. Die Akquise der Unternehmen und die Versendung der Fragebögen erfolgten durch die BGW. Die Datenauswertung erfolgte durch das Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Jedem Unternehmen, von dem eine schriftliche Einwilligungserklärung zur Teilnahme an der Studie vorlag, wurde eine Identifizierungsnummer (ID-Nummer) zugewiesen. Die Pseudonymisierungsliste mit der Zuordnung von Unternehmen und ID-Nummer wurde durch Mitarbeiter(innen) der Vertrauensstelle der BGW verwaltet. Die Fragebögen wurden vor dem Versand mit der ID-Nummer versehen und nach dem Ausfüllen von der befragten Person direkt an das CVcare geschickt. Dort wurde der Fragebogenrücklauf verwaltet und die Dateneingabe und Datenauswertung durchgeführt. Die Datenauswertung erfolgte auf Basis der pseudonymisierten Daten. Beide Institutionen (BGW und CVcare) hatten über eine cloudbasierte Webanwendung Zugriff auf eine Datenbank. Dort waren die teilnehmenden Unternehmen anhand der ID-Nummer identifizierbar und einzelne Merkmale, die für den Ablauf der Studie erforderlich waren, wie der Eingang von Fragebögen bzw. Gründe für die Nichtteilnahme wurden dokumentiert. Den Unternehmen wurde zugesichert, dass die Teilnahme freiwillig ist, ihnen bei Nichtteilnahme keine Nachteile entstehen und die Darstellung der Ergebnisse in aggregierter Form ohne namentliche Nennung einzelner Unternehmen erfolgt.
Theoretischer Hintergrund der Evaluation
Als Evaluationsmodell wurde das 4‑Ebenen-Modell zur Evaluation von Trainingsmaßnahmen von Kirkpatrick eingesetzt [
17]. Das Modell besteht aus 4 aufeinander aufbauenden Stufen: Reaktion (als die wahrgenommene Wirkung der Maßnahme in Bezug auf Zufriedenheit, Akzeptanz, Anwendbarkeit), Lernerfolg (als Bewertung des lernzielbezogenen Erfolgs), Verhalten (als Anwendung der Lerninhalte) und Ergebnisse (als Wirkung auf die Organisation). Zusätzlich wurde der Evaluationskubus nach Henninger angewendet [
16]. Er berücksichtigt neben der Evaluationsebene noch die beiden Dimensionen Messzeitpunkt und Evaluationsfokus. Beim Messzeitpunkt werden 3 Zeitfenster unterschieden (vor, während und nach der Maßnahme). Die 3. Ebene beschreibt den Fokus der Evaluation, der sich auf die Instruktion (didaktische Ausrichtung, wie z. B. Strukturierung, Verständlichkeit, Bedienbarkeit), die Organisation (Integration in bestehende Aus- und Weiterbildungsangebote) oder auf Aspekte von Kosten oder Nutzen richten kann.
Interventionsmaßnahmen
Die Interventionsmaßnahmen bestanden aus 3 Bausteinen: einem Online-Kurs, der als Motivations- und Informationsmaßnahme gemäß DGUV Vorschrift 2, Anlage 4 fungiert (1. Baustein), einer Beratung im Betrieb (2. Baustein) und, als 3. Baustein, die Möglichkeit im Rahmen der bedarfsorientierten Betreuung die Arbeitsschutzexpertise der Kompetenzzentren in den folgenden 5 Jahren zu nutzen. Der 3. Baustein war nicht Teil der Evaluation.
Online-Kurs
Ziel des Online-Kurses war es, durch die Bearbeitung der Arbeitsschutzthemen die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, Gefährdungen in ihrem beruflichen Alltag zu erkennen und geeignete Maßnahmen zur Arbeitssicherheit zu ergreifen. Der erfolgreiche Abschluss des Online-Kurses mit 80 % richtig beantworteter Testfragen war Voraussetzung für die betriebsärztliche und sicherheitstechnische BiB durch das zuständige Kompetenzzentrum. Die am KPZ-Modell teilnehmenden Unternehmen erhielten die Zugangsdaten zum Online-Kurs und sollten den Kurs innerhalb von 6 Wochen absolvieren. Der Online-Kurs wurde auf dem Lernportal der BGW angeboten, konnte zeitlich und örtlich flexibel absolviert werden und bestand aus 3 Modulen:
Beratung im Betrieb
Die BiB erfolgte jeweils über die regional zuständigen Kompetenzzentren durch Arbeitsschutzexpert(innen) (BA und Sifa), die die Kleinstunternehmen zu Arbeitsschutzfragen beraten.
Die BiB sollte die Unternehmensleitung bei der Durchführung der GBU unterstützen und so dazu beitragen, gesetzeskonforme und praxisnahe Maßnahmen zur Optimierung des Arbeitsschutzes im Betrieb einzuführen. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Beratung betraf die Erstellung und/oder Aktualisierung der GBU sowie die Hilfestellung bei den betriebsbezogenen Fragen und Problemen.
Endpunkte und Beschreibung der Instrumente
Bei der Befragung der Unternehmensleitungen wurden standardisierte Fragebögen eingesetzt, die überwiegend aus geschlossenen Fragen bestanden und eigens für diese Studie entwickelt worden waren.
Primärer Endpunkt, an dem die Wirksamkeit der Maßnahmen gemessen wurde, war das Arbeitsschutzniveau. Die Fragen zum Arbeitsschutzniveau wurden der KPZ-Gruppe zum Zeitpunkt T
0 und T
3 gestellt und den Unternehmen der VG einmalig zu einem Zeitpunkt, der dem Zeitpunkt T
3 der Interventionsgruppe entsprach. Für die Operationalisierung des Parameters Arbeitsschutzniveau wurden die Ergebnisse der Fragen zu GBU, Unterweisung und arbeitsmedizinischer Vorsorge aufsummiert. Die Formulierung der Fragen waren gleich zu T
0 und zu T
3. Sie lauteten: „Wissen Sie, was eine Gefährdungsbeurteilung ist?“ Bei Bejahung folgte die Frage „Haben Sie oder eine dafür verantwortliche Person in Ihrem Betrieb jemals eine Gefährdungsbeurteilung erstellt?“. „Wissen Sie, was eine Unterweisung ist?“. Bei Bejahung folgte die Frage „Werden in Ihrem Betrieb regelmäßig Unterweisungen durchgeführt?“. „Kennen Sie Anlässe für die arbeitsmedizinische Vorsorge in Ihrer Branche?“ Bei Bejahung folgte die Frage „Welche Anlässe für die arbeitsmedizinische Vorsorge sind Ihnen bekannt?“. Durch die Verwendung von Filterfragen konnten die Fragen zur Durchführung der jeweiligen Maßnahmen nur bei Bejahung des Wissens beantwortet werden. Für alle Fragen waren jeweils die 3 Antwortmöglichkeiten ja, nein und unsicher vorgegeben, abgesehen von der Benennung arbeitsmedizinischer Vorsorgeanlässe, welche im Freitext zu beantworten waren. Im Zusammenhang mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge wurde berücksichtigt, dass es in den 3 Branchen unterschiedliche arbeitsmedizinische Vorsorgeanlässe gibt. Die Antwort wurde mit ja bewertet, wenn mindestens ein branchenspezifischer Anlass benannt wurde (Tab.
1).
Tab. 1
Ausgewählte branchenspezifische Anlässea für die arbeitsmedizinische Vorsorge mit Beispielen
1 | Feuchtarbeit | Hautschutz, Prävention Hauterkrankungen; Arbeiten mit Handschuhen | F, K, H |
2 | Infektionsgefährdung | Impfungen, Infektionsschutz, Schutz von Erregern, Nadelstichverletzungen | K, H |
3 | Bildschirmarbeit | Sehtest, Brille, Bildschirmbrille | K, H |
4 | Wesentlich erhöhte körperliche Belastungen | Gefährdung durch Tragen schwerer Lasten, Tragen von Kindern | K |
5 | Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Gefahrstoffen | Zytostatika, Gefahrstoffe, Krebserregende Stoffe, Umgang mit chemischen Stoffen | H |
Der Stellenwert des Arbeitsschutzes wurde mit der Frage „Welchen Stellenwert hat das Thema Arbeitsschutz in Ihrem Betrieb?“ erfasst. Die Antwortmöglichkeiten waren „eher wichtig“, „teils/teils“ und „eher unwichtig“.
Die Themenbereiche der Fragebögen zum Online-Kurs und zur BiB wurden inhaltlich von den Lernzielen der beiden Maßnahmen abgeleitet. Die Fragen, die im Zusammenhang mit der Evaluation relevant waren, bezogen sich auf den subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg und wurden über die 3 Dimensionen Motivation, Selbstwirksamkeit bezüglich der Umsetzung der Kursinhalte im Praxisalltag sowie Lernzuwachs erfasst. So bildete die Skala Lernzuwachs den Lernerfolg und die Anwendung der Lerninhalte ab und bestand aus 6 Aussagen mit einer 5‑stufigen Antwortskala vom Likert-Typ (stimme voll zu/stimme eher zu/stimme eher nicht zu/stimme nicht zu/Aussage nicht möglich). Befragte, die angaben, nach dem Online-Kurs bzw. der BiB bereits Arbeitsschutzmaßnahmen im Unternehmen umgesetzt zu haben, wurden aufgefordert, die Maßnahmen in einem Freitext anzugeben.
Statistische Analyse
In der Analyse wurden Häufigkeiten (absolut und prozentual) für die KPZ-Gruppe (zu T0 und zu T3) und für die VG ermittelt. Zur statistischen Prüfung möglicher Gruppenunterschiede bezüglich der untersuchten Faktoren wurden Kreuztabellen erstellt und mittels Chi-Quadrat-Test bzw. Mann-Whitney-Test für ordinalskalierte Merkmale überprüft. Bei der Auswertung der Häufigkeiten der KPZ-Gruppe vor und nach der Intervention als verbundene Stichproben wurde der Wilcoxon-Test eingesetzt. Alle Tests wurden zweiseitig mit der Signifikanzgrenze p = 0,05 durchgeführt. Die Datenauswertung erfolgte mittels SPSS Statistics Version 28 (IBM Corp. in Armonk, NY, USA).
Um das Arbeitsschutzniveau abzubilden, wurde aus den dichotomen Endpunkten zu Wissen und Durchführung von GBU, Wissen und Durchführung von Unterweisungen und Kennen und Benennen von branchenspezifischen Anlässen der arbeitsmedizinischen Vorsorge ein Summenscore gebildet. Hierbei wurde die Antwort nein mit 0 Punkten und die Antwort ja mit 1 Punkt bewertet. Da die Anlässe für arbeitsmedizinische Vorsorge je nach Branchen variieren, wurde die Antwort mit 1 Punkt bewertet, wenn mindestens ein branchenspezifischer Anlass benannt wurde. Zusätzlich wurde das Arbeitsschutzniveau zwischen der KPZT3-Gruppe und der VG unter Berücksichtigung der Branche verglichen.
Für die Berechnung des Summenscores wurden die Antwortmöglichkeiten nein und unsicher zu nein zusammengefasst. Die Antwort nein wurde mit 0 Punkten bewertet und die Antwort ja mit 1 Punkt. Der Summenscore konnte somit zwischen 0 und 6 Punkten liegen. Für die Beschreibung des Arbeitsschutzniveaus wurde dieser gruppiert in niedrig (0 bis 2 Punkte), mittel (3 bis 4 Punkte) und hoch (5 bis 6 Punkte).
Diskussion
Die vorliegende Evaluationsstudie untersuchte, ob das Arbeitsschutzniveau durch die alternative bedarfsorientierte BuS-Betreuung durch Kompetenzzentren mit Teilnahme an einem Online-Kurs und Durchführung einer BiB verbessert werden konnte. Zusätzlich wurde das Arbeitsschutzniveau der Unternehmen mit KPZ-Betreuung mit der in Unternehmen mit anderen Betreuungsformen (Regelbetreuung und alternative Betreuung) verglichen.
In die Stichprobe, die für die Evaluationsstudie gezogen wurde, wurden ausschließlich Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten eingeschlossen, für die kein Nachweis einer BuS-Betreuung dokumentiert war. Damit unterscheidet sich diese Stichprobe grundlegend von Stichproben anderer Studien zu Umsetzungsquoten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, in denen sich sowohl Unternehmen mit wie auch ohne BuS-Betreuung befanden. Von den für die Studie geeigneten Unternehmen der KPZ-Gruppe (n = 1555), die auch an der BiB und der anschließenden Befragung teilgenommen hatten (T3), wurde mit 79,9 % (416 von 521) eine sehr gute Quote erreicht.
Zur Wirksamkeit der Betreuung von Kleinstunternehmen durch Dienstleister für betriebsärztliche und sicherheitstechnische Leistungen lag uns als einzige Studie das Zentrumsmodell vor. Hierbei handelt es sich um ein Pilotprojekt der DGUV, in dem untersucht wurde, ob ein trägerübergreifendes Betreuungsnetzwerk dazu beiträgt, die Umsetzung der DGUV Vorschrift 2 in nichtbetreuten Kleinst- und Kleinunternehmen zu verbessern [
5]. Ein systematisches Review zum Umsetzungsstand gesetzlicher Vorgaben im Arbeits- und Gesundheitsschutz (16 Studien) kam in 2020 zu dem Ergebnis, dass die Umsetzungsquoten der GBU und der Betriebsbegehungen zwar kontinuierlich angestiegen sind und die Umsetzungsquoten mit der Betriebsgröße ebenfalls zunehmen, dass eine flächendeckende Umsetzung gesetzlicher Vorgaben jedoch noch nicht erreicht ist [
19].
Zu Beginn der hier vorgestellten Studie wussten weniger als die Hälfte der Unternehmensleitungen, was eine GBU ist, und von denen, die über das Wissen verfügten, hatten weniger als ein Viertel jemals eine GBU erstellt. Zum Vergleich dieser Basis-GBU-Quote wäre die Stichprobe des Pilotprojekts Zentrumsmodell geeignet, da diese ebenfalls aus Unternehmen bestand, von denen kein BuS-Betreuungsnachweis vorlag. Allerdings wurde in dieser Studie keine Basisbefragung vor der Betriebsberatung durchgeführt [
5]. Bei den übrigen Studien handelt es sich um Querschnittstudien, aus deren Ergebnissen sich keine GBU-Quoten von nichtbetreuten Unternehmen ableiten lassen.
Im Rahmen der BiB wurde die GBU von den Arbeitsschutzexpert(innen) der Kompetenzzentren zusammen mit der Unternehmensleitung erarbeitet. Sechs Monate nach der BiB (T
3) gaben 67 % der Befragten an, dass sie eine GBU erstellt haben. Damit wurde eine Quote erreicht, die auch für das Pilotprojekt Zentrumsmodell berichtet wurde (69,9 % Zustimmung auf die Aussage „… ich weiß, wie eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird“ [4 bis 8 Wochen nach der Betreuung]; [
5]).
Die Umsetzungsquoten zur GBU, die aus anderen Studien für Unternehmen mit 1–9 Beschäftigten berichtet wurden, lagen zwischen 35,5 und 56,6 % [
1,
10,
15,
18,
20]. Die Quoten dieser Studien basierten überwiegend auf Selbstangaben der Unternehmensleitungen, allerdings waren in den Stichproben sowohl betreute als auch nichtbetreute Unternehmen vertreten.
In der vorliegenden Studie hätte vor dem Hintergrund, dass die GBU zusammen mit den Arbeitsschutzexperten der Kompetenzzentren erarbeitet worden war, erwartet werden können, dass 100 % der KPZ-Unternehmen nach der Betriebsberatung angeben, dass sie eine GBU erstellt haben. Die Tatsache, dass dies nicht so war, könnte darauf hindeuten, dass ein Drittel der KPZ-Unternehmen den Fachbegriff Gefährdungsbeurteilung nicht richtig einzuordnen wusste.
Der Anteil der Unterweisungen konnte von knapp 38 % zu Beginn der Studie auf 67 % am Ende der Studie gesteigert werden. Damit entsprach die Umsetzungsquote der Unterweisungen der Quote von 70 %, wie sie für KKU in Thüringen in einer Untersuchung berichtet wurde [
1].
Obwohl mehr Unternehmen nach den Interventionen angaben, arbeitsmedizinische Vorsorgeanlässe zu kennen, konnte die korrekte Benennung von branchenspezifischen Vorsorgeanlässen nicht gesteigert werden. In der Studie von Amler et al. [
1] stand der Wunsch nach mehr Information zur arbeitsmedizinischen Vorsorge an erster Stelle (geäußert von 35 % der Kleinstunternehmen). Bei einer Überarbeitung der Maßnahmen im Rahmen dieser Betreuungsform sollte dieses Thema berücksichtigt werden.
Insgesamt erhöhte sich das Arbeitsschutzniveau nach der Intervention signifikant. Am Ende der Studie erreichten 36,3 % der KPZ-Gruppe ein hohes Arbeitsschutzniveau und hatten damit neben dem Wissen in allen 3 Themenfeldern mindestens auch 2 Maßnahmen durchgeführt.
Die hohen Quoten von fast 90 %, dass sich die Teilnehmer(innen) nach dem Online-Kurs und der BiB motiviert fühlten, Arbeitsschutzmaßnahmen selbstständig umzusetzen, könnten in der Weise interpretiert werden, dass das Gelernte zu Veränderungen im Umgang mit dem Arbeitsschutz im Betrieb führen kann. Die Qualität der Anwendung des Gelernten, also der Transferprozess in den betrieblichen Alltag, wurde allerdings nicht im Rahmen der Evaluationsstudie überprüft. Inwieweit sich der Stellenwert des Arbeitsschutzes durch die Teilnahme an den Maßnahmen geändert hat, lässt sich anhand der erhobenen Daten nur bedingt beurteilen. Bereits zu Beginn der Studie schätzten knapp 60 % den Stellenwert des Arbeitsschutzes als eher wichtig ein, so dass es sich bei der Zunahme um 9 Prozentpunkte zum Ende der Studie auch um ein sozial erwünschtes Antwortverhalten handeln kann.
Die Evaluationsstudie fand vor dem Hintergrund statt, dass die Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV Vorschrift 2) bereits seit 2011 in Kraft war. In Anbetracht des Zeitraums, der seit dem Inkrafttreten der DGUV Vorschrift 2 vergangen ist, wären höhere Umsetzungsquoten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu erwarten gewesen.
In der Vergleichsgruppe aus Unternehmen mit Regelbetreuung bzw. alternativer Betreuung lag die Responsequote sehr viel niedriger als in der KPZ-Gruppe (15,6 % [627 von 4020]; 79,9 % [416 von 521]). Obwohl die Einschlusskriterien für die Ziehung der Stichproben von KPZ-Gruppe und VG gleich waren (Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten), unterschieden sich beide Gruppen signifikant bei der Zusammensetzung der Branchen und bei der Anzahl der Mitarbeiter(innen). Beim Stellenwert des Arbeitsschutzes mit einem Anteil von jeweils rund 70 %, die diesen als eher wichtig einschätzten, unterschieden sich die Einschätzungen der beiden Gruppen nicht. Diese Quote kann jedoch als ein sozial erwünschtes Antwortverhalten interpretiert werden, da den Befragten beider Gruppen bekannt war, dass die BGW die Initiatorin dieser Studie war.
Die Umsetzungsquote der GBU lag in der VG signifikant über der in der KPZ
T3-Gruppe (83,6 %; 67,0 %). Die Umsetzungsquote der GBU in der VG erreichte damit eine Größenordnung, die deutlich über der Quote von 44 % lag, welche für BuS-betreute Kleinstunternehmen aus vergleichbaren Studien berichtet wurde [
1,
18]. Eine vergleichbar hohe Umsetzungsquote der GBU von 77 % wurde lediglich für Unternehmen mit alternativer Betreuung berichtet, allerdings ohne Differenzierung nach Anzahl der Beschäftigten [
21]. Der Grad der Umsetzung der GBU wurde allerdings in unserer Studie nicht erfasst. Nach Lenhardt und Beck [
18] führen lediglich 7 % der Kleinstunternehmen die GBU vollständig aus.
Eine Bewertung der Umsetzungsquoten der Unterweisungen bzw. der Kenntnisse von branchenspezifischen Anlässen für arbeitsmedizinische Vorsorge fällt schwer, da hier zu selten getrennt für einzelne Betreuungsformen berichtet wird [
1]. Hinzu kommt, dass die Datenlage insbesondere für Kleinstunternehmen unzureichend ist und Vergleiche nur bedingt möglich sind, weil sich die Definition von Kleinstunternehmen im Hinblick auf die Beschäftigtenzahl in den Studien unterscheidet [
19].
In der vorliegenden Studie zeigte sich beim Vergleich der KPZT3-Gruppe versus Unternehmen mit anderen Betreuungsformen, dass mit allen untersuchten Betreuungsformen, ein zufriedenstellendes bis gutes Arbeitsschutzniveau erreicht werden konnte. In beiden Gruppen hatten über 80 % ein mittleres bis hohes Arbeitsschutzniveau, wobei in der VG signifikant mehr Unternehmen ein hohes Arbeitsschutzniveau hatten als in der KPZT3-Gruppe (44,5 %; 36,3 %; p < 0,05). Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der VG die Umsetzungsquoten der GBU und der Unterweisung signifikant höher lagen. Getrennt nach Branche zeigten sich bei Betrachtung des Arbeitsschutzniveaus keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der KPZ-Gruppe und der VG.
Stärken und Schwächen
Stärken der Interventionsstudie waren die hohe Anzahl der teilnehmenden Unternehmen an den verschiedenen Befragungswellen zwischen 2018 und 2022 und die über den gesamten Zeitraum hohen Responsequoten. Zusätzlich konnten die Befragungszeiträume im Rahmen des Follow-up eingehalten werden, so dass alle Unternehmen mit dem gleichen zeitlichen Abstand zu den Interventionen befragt wurden. Für die VG wurde mit dem Zeitpunkt der Stichprobenziehung und der Durchführung der Befragung eine vergleichbare Situation hergestellt, so dass eine Vergleichbarkeit der Angaben gegeben ist. Allerdings wurden die Befragungen und Interventionen in der KPZ-Gruppe zum großen Teil während der Jahre 2019 bis 2022 durchgeführt und in der VG im Jahr 2019, sodass die KPZT3-Gruppe eher von den pandemischen Auswirkungen betroffen war, was die Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Allerdings haben wir keinen Hinweis darauf, in welche Richtung diese Beeinflussung erfolgt sein könnte. Aus unserer Sicht ist beides möglich: Die Pandemie könnte die Sensibilität für das Thema Arbeitsschutz erhöht und zu einer größeren Motivation in der KPZT3-Gruppe geführt haben. Andererseits könnte es durch die vermehrte Belastung durch die Pandemie zu einer Überforderung und damit zu einer reduzierten Motivation gekommen sein. Diese Schwäche der Studie sollte bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden.
Eine weitere Stärke der Studie ist die Kombination aus prospektiver Befragung und Querschnittbefragung mit einer Vergleichsgruppe. So konnte das Arbeitsschutzniveau der KPZT3-Gruppe, das im Rahmen der alternativen Betreuung durch Kompetenzzentren erreicht wurde, verglichen werden mit dem Arbeitsschutzniveau, welches durch Regelbetreuung bzw. alternativer Betreuung in der VG erreicht wurde.
Limitationen der Studie waren, dass keine Randomisierung der zu vergleichenden Gruppen möglich war, da die Unternehmer(innen) sowohl in der KPZT3-Gruppe als auch in der VG ihre Betreuungsform selbst gewählt haben und dass die Responsequoten der KPZT3-Gruppe und der VG unterschiedlich waren (79,9 %; 15,6 %). Die geringe Responsequote der VG könnte darauf hindeuten, dass sich vor allem Unternehmen beteiligt haben, die bei der Umsetzung des Arbeitsschutzes besonders motiviert und engagiert waren. Der Unterschied bezüglich des Arbeitsschutzniveaus zwischen der KPZT3-Gruppe und der VG wird somit wahrscheinlich überschätzt.
Zum Summenscore Arbeitsschutzniveau ist anzumerken, dass die dazu verwendeten Fragen nach Kenntnis und Durchführung der gesetzlichen Vorgaben im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz in beiden Gruppen auf Selbstangaben der Unternehmen beruhen und dass die Qualität, der Umsetzungsgrad oder die Nachhaltigkeit der Maßnahmen bezüglich der GBU oder der Unterweisung nicht erfasst wurde. Hier könnten Unterschiede zwischen beiden Gruppen bestehen, die in unserem Studiendesign nicht aufgedeckt werden konnten. Weiterhin ist zu der höchsten Kategorie des Scores anzumerken, dass sich diese Kategorie zwar auf den höchsten bzw. zweithöchsten Punktwert bezog, dass aber der verwendete Begriff „hohes“ Arbeitsschutzniveau aufgrund der Selbstangaben eine nicht vorhandene Qualität vortäuschen könnte.
Hinweis des Verlags
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