Typ-2-Diabetes ist sehr heterogen

Was diabetologisch tätige Ärzte schon immer intuitiv vermutet haben, konnte jetzt mit einer Studie wissenschaftlich bestätigt werden: Der Typ-2-Diabetes ist eine vielgestaltige Erkrankung mit verschiedenen prognostisch unterschiedlichen Phänotypen. Darin könnte der Schlüssel für eine zielgerichtete, individualisierte Therapie liegen. Bisher wird die Stoffwechselerkrankung pathogenetisch orientiert in einen Typ-1- und einen Typ-2-Diabetes unterteilt. Bei Ersterem handelt es sich um eine autoimmuninduzierte Entzündung mit Zerstörung der Betazellen und konsekutivem Insulinmangel. Die Pathogenese des Typ-2-Diabetes ist dagegen komplex, wobei eine Abnahme der Insulinempfindlichkeit und eine Störung der Insulinsekretion entscheidend sind. Bei der Manifestation der Erkrankung interagieren Gene und Umwelt. Doch der Einfluss bekannter „Diabetesgene“, von denen es über fünfzig gibt, ist gering, d.h. sie erklären nur ca. fünf Prozent der Heredität. Diese Mutationen betreffen auch vorwiegend die Insulinsekretion und weniger die Insulinempfindlichkeit. ANDIS-Studie: Fünf Diabetesformen Die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie (ANDIS-Studie: All New Diabetics in Scania) [1] sprechen dafür, dass es sich beim Typ-2-Diabetes um eine sehr heterogene Erkrankung mit unterschiedlichen Phänotypen handelt. Aufgenommen in diese Studie wurden über 16 000 Patienten mit einem neu entdeckten Diabetes. Sie wurden über zehn Jahre nachverfolgt. Anhand von sechs Variablen wurden bei 8980 Patienten Cluster gebildet, wobei GAD (Glutamatdecarboxylase)-Antikörper, das Alter bei Diagnosestellung, Body Mass Index, HbA1c-Wert, Parameter der Insulinsekretion (HOMA2-B) und der Insulinempfindlichkeit (HOMA2-IR) in die Auswertung eingeflossen sind. Die erhobenen Daten wurden auch an drei unabhängigen Kohorten repliziert. „Bei der prospektiven Beobachtung wurden Krankheitsverlauf, Medikation und Komplikationen ausgewertet“, so Professor Baptist Gallwitz, Universitätsklinik für Endokrinologie und Diabetologie, Tübingen, und Past-Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG). Danach können fünf Diabetesformen unterschieden werden – darunter drei leichte und zwei schwere Formen (siehe Tabelle). Springer Medizin Verlag GmbH × Typisch für SAID, der Menschen mit Typ-1-Diabetes und solche mit einem LADA (Latent Autoimmune Diabetes in Adults) umfasst, sind junges Alter, ein hoher HbA1c-Wert, wenig Insulin, Schlankheit und ein schwerer Verlauf. Für SIDD, der ebenfalls eine schwere Erkrankung darstellt, gelten dieselben Kriterien, wobei sich häufig eine Retinopathie entwickelt. Patienten mit einem SIRD sind älter, haben einen niedrigen HbA1c-Wert, sind übergewichtig und entwickeln häufig eine Nephropathie, eine koronare Herzkrankheit (KHK) und eine nichtalkoholische Fettleber (NASH). Dabei handelt es sich auch um eine schwere Erkrankung. MOD ist dagegen ein eher milder Diabetes mit einem niedrigen HbA1c-Wert und einem geringen Komplikationsrisiko. Auch MARD stellt eine eher milde Erkrankung bei relativ schlanken Patienten mit einem niedrigen HbA1c-Wert und einem geringen Komplikationsrisiko dar, wobei in der Regel ältere Patienten betroffen sind. Insgesamt zeigten Patienten mit einem SIRD den ungünstigsten Verlauf vor allem im Hinblick auf die Zeit, bis eine Insulintherapie erforderlich wurde bzw. eine diabetische Nephropathie oder ein kardiovaskuläres Ereignis auftrat [1]. Diese unterschiedlichen Verläufe und Risiken für Folgeerkrankungen bieten nach Meinung von Gallwitz eine Chance für eine optimierte und präzisierte individuelle Therapie. Basis für zielgerichtete Therapie „Dass Typ-2-Diabetiker nicht gleich Typ-2-Diabetiker ist, das sagt uns Hausärzten und Diabetologen schon lange unser Bauchgefühl“, so Dr. Nikolaus Scheper, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen. Bei der ANDIS-Studie handele es sich nur um eine Beobachtungsstudie, deren Ergebnisse bisher keine therapeutischen Implikationen haben. Ergänzend regte Dr. Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), daher eine Auswertung der vorliegenden Endpunktstudien an, bei der die Ergebnisse für die in der ANDIS-Studie gebildeten Gruppen untersucht werden könnten. Dies sollte unter Mitwirkung der Industrie durch Bereitstellung von Daten stattfinden. Patientenberichtete Endpunkte sind wichtig Die umfassende Bewertung eines Medikaments erfordert nicht nur Daten zu Morbidität und Mortalität, sondern auch die Beurteilung der Lebensqualität durch den Patienten. Deshalb müssen patientenberichtete Endpunkte in das Design der Studien aufgenommen werden. Dafür fehlen aber noch standardisierte Verfahren. Das Thema „Patientenberichtete Endpunkte“ (PRO = Patient Reported Outcomes) wird nach Meinung von Professor Jürgen Wasem, Lehrstuhlinhaber für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, immer wichtiger. Ohne PRO gebe es nur ein unvollständiges Bild von Nutzen und Schaden eines Medikaments. Die PRO schließen Parameter ein, die nur der Patient berichten kann, so z.B. die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die wahrgenommenen Symptome. Beurteilung der Krankheitslast PRO gehören auch zu den patientenrelevanten Endpunkten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG). Die Nutzenbewertung stützt sich nicht nur auf Mortalität und Morbidität, sondern auch auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Darüber hinaus sollten PRO auch in die Leitlinien und Disease Management Programme (DMP) Eingang finden. In der Diabetologie gelangen sie deshalb auch zunehmend in den Fokus der Zulassungsstudien. Um diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, müssen PROParameter in Fragebögen eingebaut und adäquat ausgewertet werden. Dazu ist auch die Mitarbeit der Patientenorganisationen unverzichtbar. „Fordern Sie gute Studien, um das Wissen um die Medikamente, die Sie einnehmen müssen, zu verbessern“, appellierte Professor Dirk Müller-Wieland, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), an die Patienten. Valide Tools fehlen Problematisch sei, so Müller-Wieland, dass es bisher keine validen Tools gibt, um diabetesspezifische PRO zu erfassen. Es fehlten die Standardisierung und der Bezug. Die verwendeten Parameter hätten eine schlechte Sensitivität und Spezifität. „Doch wenn kein Unterschied messbar ist, so heißt das noch lange nicht, dass kein Unterschied besteht“, so Dr. Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Deshalb engagiert sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) jetzt auch bei der Entwicklung neuer methodischer Ansätze zur Erfassung von PRO und führt hier seit Längerem einen aktiven Dialog mit dem IQWiG. Gefragt ist aber auch die Pharmaindustrie, die validierte Erhebungsbögen für PRO in das Design der Studien aufnehmen muss. „Es ist sehr zu begrüßen, dass es diese Tools geben soll, wir möchten unsere Expertise für die Umsetzung in den klinischen Studien einbringen“, so Dr. Matthias Axel Schweitzer, Medizinischer Direktor Novo Nordisk Deutschland. PRO nur Gruppenbetrachtung In einer onkologischen Studie konnte gezeigt werden, dass ein PRO-basiertes Vorgehen sogar die Prognose verbessert. Doch man darf nach Meinung von Kaiser nicht vergessen, dass auch PRO nur eine Gruppenbetrachtung darstellen. Sie sind zwar hilfreich bei der individuellen Therapieentscheidung, lösen aber nicht das Problem, beim einzelnen Patienten das für ihn richtige Medikament auswählen zu müssen. Für den einzelnen Patienten ist es erforderlich, bei der Einleitung einer Therapie zwischen Prognose und Lebensqualität abzuwägen. Im Fokus der Politik Der aktuelle Koalitionsvertrag „betont die nationale Diabetesstrategie“. Doch was ist bisher geschehen? „Wir haben uns verpflichtet, gezielt Volkskrankheiten zu bekämpfen, und dabei steht der Diabetes ganz oben auf der politischen Agenda“, so Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit. Ziel sei es, Prävention, Früherkennung, Behandlung sowie die Vermeidung von Folgeerkrankungen weiterzuentwickeln. Stroppe betonte, erste mögliche Bestandteile einer nationalen Diabetesstrategie würden bereits umgesetzt – und zwar vornehmlich in zwei Feldern: Datenerhebung und Aufklärung. So führe das Robert-Koch-Institut sämtliche verfügbaren präventions- und versorgungsrelevanten Daten zusammen und werte diese aus. Sie sollen dann der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern als belastbare Grundlage dienen, um die Diabetesprävention und -versorgung weiterzuentwickeln. Mit Blick auf die Chancen, die Diabetesprävention bietet, liege ein weiterer Schwerpunkt auf der Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und besonderer Risikogruppen. Dies solle über geeignete Maßnahmen der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. Neben diesen Aktivitäten müsse aber auch die Frage thematisiert werden, wie die Versorgung gewährleistet werden kann, so Professor Dirk Müller-Wieland, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Leider gebe es an den 33 Universitätskliniken in Deutschland nur noch acht Lehrstühle für Endokrinologie und Diabetologie und somit kaum noch eine Ausbildungsstätte, an der man die volle Weiterbildung zum Diabetologen erreichen kann, betonte Professor Diethelm Tschöpe, Lehrstuhlinhaber Innere Medizin/Endokrinologie/Diabetologie an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und Klinikdirektor im Herz- und Diabeteszentrum NRW. Diabetes 2030 Mit der Veranstaltungsreihe „Diabetes 2030“ will Novo Nordisk zu einer besseren Diabetesversorgung beitragen, indem es den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen eine Plattform zum Austausch und zur Vernetzung bietet. Am 21./22. Februar 2019 kamen zum vierten Mal Vertreter von Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, Politik und Selbstverwaltung in der dänischen Botschaft in Berlin zusammen. Erfahren Sie mehr zum Engagement von Novo Nordisk unter: www.novonordisk.de/ueber-novo-nordisk/changing-diabetes.html Literatur Ahlqvist E et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2018, 6: 361-369 Impressum „Diabetes 2030“ Berlin, 21.-22.2.2019 Berichterstattung: Dr. Peter Stiefelhagen, Hachenburg Artikel gedruckt in ÄrzteZeitung Nr. 35-59D Mittwoch, 27. März 2019 Mit freundlicher Unterstützung der Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Tobias Berenz Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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