Cannabinoide: Zwei von drei Patienten profitieren

Die ersten Ergebnisse der Begleiterhebung nach dem „Cannabisgesetz” bestätigen zum einen positive Erfahrungen zur Wirksamkeit von Cannabis-basierten Wirkstoffen im Versorgungsalltag, zum anderen ergeben sich teils auch überraschende Erkenntnisse zur Verträglichkeit der verschiedenen Wirkstoffe. Insgesamt zeigen die Ergebnisse den Nutzen einer Cannabinoidtherapie bei therapierefraktären Beschwerden für viele schwer kranke Patienten. In dieser ersten Zwischenauswertung (Stand 1. Februar 2019) [1] wurden die Datensätze von 4.153 Patienten analysiert. Auch wenn die Zwischenergebnisse noch von begrenzter Aussagekraft sind, da sie die Anfangsphase der erleichterten Verordnung von Cannabis-basierten Wirkstoffen in Deutschland widerspiegeln, so zeigen sie doch einige aufschlussreiche Trends und Fakten: Erwartungsgemäß waren chronische Schmerzen der mit Abstand häufigste Grund für einen Kostenübernahme-Antrag (69%), gefolgt von Spastik (11%), Anorexie (8%) und Übelkeit/Erbrechen (4%). 25% der Patienten litten an einer Tumorerkrankung, jeweils weniger als 2% an Epilepsie und Aufmerksamkeitsdeﬁzit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Tourettesyndrom und Morbus Crohn waren mit jeweils 1% vertreten. Dronabinol – meist verordneter Wirkstoff Bei der Verordnung von Cannabis-Wirkstoffen bevorzugten die Ärzte den Rezepturwirkstoff Dronabinol [1]: Von den insgesamt 4.153 Datensätzen stammten 2.623 (63%) von Patienten, die mit Dronabinol-Rezepturen (reines Tetrahydrocannabinol, THC) behandelt wurden. Mit Abstand folgten Cannabisblüten, die 938 Patienten verordnet wurden, und die THC-Cannabidiol (THC-CBD)-Fixkombination (Nabiximols) bei 510 Patienten. Extrakte und Nabilon wurden 60 bzw. 20 Patienten verordnet und die entsprechenden Datensätze aufgrund der geringen Verordnungszahlen nicht weiter ausgewertet. Auffällig waren die Alters- und Geschlechtsunterschiede zwischen Patienten, die Cannabisblüten erhielten (Durchschnittsalter: 46 Jahre, 70% Männer) und Patienten, die Fertig- oder Rezepturarzneimittel einnahmen (Durchschnittsalter: 60 Jahre, >50% Frauen). Dronabinol bei zwei von drei Patienten wirksam Schmerz war mit 69% die häufigste Indikation für die Verordnung von Cannabis-Wirkstoffen. In der Gruppe mit Dronabinol-Dauertherapie (n=903) lag dieser Anteil sogar bei 80%; dies zeigt, dass Dronabinol eine ernstzunehmende Therapieoption bei schwierig zu behandelnden bzw. therapierefraktären Schmerzen ist. Von 1.838 Patienten berichteten 29% über eine deutliche und 36% über eine moderate Linderung ihrer Schmerzen durch diesen Wirkstoff [1]. Auch bei anderen bis dahin therapierefraktären Beschwerden zeigte Dronabinol eine gute Wirksamkeit: Bei den 211 Patienten, die aufgrund von Spastik behandelt wurden, gaben 39% eine deutliche und 38% eine moderate Linderung der Symptome an. Anorexie/Kachexie (n=281) wurde in 22% der Fälle deutlich und in 40% moderat gelindert (Abb. 1) [1]. Abb. 1: Reduktion der Beschwerden unter Dronabinol (modifiziert nach [1]) Springer Medizin Verlag GmbH × Cannabinoide sind gut verträglich Insgesamt erwies sich die Cannabistherapie als sehr gut verträglich [1]: Bei gut der Hälfte der Patienten wurden keine Nebenwirkungen festgestellt. Am häufigsten berichteten die Patienten über Müdigkeit (16%) und Schwindel (12,5%), gefolgt von Übelkeit, Schläfrigkeit und Mundtrockenheit (je 10%, z.B. Aphthen, Mundtrockenheit/-brennen, Aversion gegen den Geschmack). Auch Müdigkeit/Schläfrigkeit, Lethargie, Aufmerksamkeits-/Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Übelkeit wurden unter der THC-CBD-Kombination häufiger angegeben als bei einer Therapie mit Dronabinol oder Cannabisblüten. Dies ist insofern von klinischer Bedeutung, als dass die THC-CBD-Kombination teilweise in der Absicht eingesetzt wird, psychotropen Nebenwirkungen von THC durch den CBD-Anteil entgegen zu wirken. Die jetzt publizierten Daten der Begleiterhebung bestätigen die Erfahrung, dass unerwünschte psychotrope Effekte (wie etwa Dissoziation, Sinnestäuschungen, Wahnvorstellungen, Euphorie etc.) bei therapeutischer Gabe (allmähliches Auftitrieren, regelmäßige Einnahme, überwiegend oral) auch bei Dronabinol nur selten auftreten und durch Kombination mit CBD nicht noch seltener werden. Therapie nicht vorzeitig abbrechen Wenn die Therapie mit Cannabis-Wirkstoffen abgebrochen wurde, wurden nach unzureichender Wirksamkeit unerwünschte Effekte als zweithäufigster Grund genannt. Bei Berücksichtigung einiger Besonderheiten der Cannabinoid-Therapie lässt sich die Häufigkeit von Therapieabbrüchen möglicherweise senken: Für eine bessere Anfangs-Verträglichkeit sollten Cannabinoide grundsätzlich einschleichend dosiert werden [2]. Bei oraler Einnahme wird häufig mit 1,8–2,5mg THC abends begonnen und alle zwei bis drei Tage um 1,8–2,5mg/Tag auftitriert, bis ein Therapieerfolg eintritt oder intolerable Nebenwirkungen eine weitere Dosiserhöhung ausschließen. Der Patient sollte darüber informiert werden, dass Nebenwirkungen wie Schwindel oder Müdigkeit während der Auftitrationsphase häufiger auftreten und meist selbstlimitierend sind [5]. Bei Bedarf kann die Dosis vorübergehend wieder reduziert und nach Abklingen der Beschwerden erneut und vorsichtiger auftitriert werden. Bei älteren Patienten sollte die Aufdosierung generell in sehr kleinen Schritten erfolgen. Dosis überprüfen, wenn die Wirkung nicht ausreicht Von der Cannabistherapie profitierten je nach Wirkstoff und Indikation etwa zwei von drei Patienten durch eine deutliche oder moderate Linderung ihrer bis dahin therapierefraktären Beschwerden [1]. Vollständige Beschwerdefreiheit kann angesichts der therapierefraktären Beschwerden, bei denen Cannabis-Wirkstoffe indiziert sind, im Allgemeinen nicht erwartet werden. Dies sollte mit dem Patienten besprochen werden, um Enttäuschungen, die zu fehlender Adhärenz und zum Therapieabbruch führen können, möglichst zu vermeiden. Um einen zufriedenstellenden Therapieeffekt zu erreichen, muss eine ausreichend hohe Dosis angestrebt werden. Therapeutische Tagesdosen von Dronabinol liegen üblicherweise zwischen 5mg und 20mg. In Einzelfällen sind deutlich höhere Tagesdosen möglich. Da THC nicht organtoxisch wirkt, ist dies unbedenklich, solange der Patient diese Dosis gut verträgt [2]. Vergütung des Verwaltungsaufwands für die Begleiterhebung Seit Inkrafttreten des „Cannabisgesetzes“ im März 2017 können Cannabisblüten und Cannabis-basierte Wirkstoffe unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden [3]. Die Cannabis-Begleiterhebungsverordnung (CanBV) verpflichtet die verordnenden Ärzte, ihre Therapieerfahrungen in anonymisierter und standardisierter Form in eine Begleiterhebung einzubringen, die u.a. die Grundlage für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bilden soll, um die Übernahme der Behandlungskosten einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln nach dem fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) zu regeln. Die Übermittlung der Daten erfolgt über ein Onlineportal des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Zur Vergütung des Verwaltungsaufwands wurden drei neue Ziffern in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen. Diese umfassen die Aufklärung des Patienten über die verpflichtende Datenerhebung, die Datenerfassung und deren elektronische Übermittlung an das BfArM sowie die Unterstützung des Patienten durch den Arzt bei der Antragsstellung (Tabelle 1) [4]. Springer Medizin Verlag GmbH × Praxis-Tipp: Vermeidung von Therapieabbrüchen unter Cannabinoiden Bei Tropfen auf die richtige Applikation achten: nicht in Flüssigkeiten, sondern auf Brot oder Zucker einnehmen. Solange der Wirkstoff gut vertragen wird, langsam auftitrieren, bis die Wirkung zufriedenstellend ist. Eine häufig gut geeignete Zieldosis bei oraler Gabe ist 5–20mg/d THC, dies ist aber indikationsabhängig und kann individuell sehr verschieden sein. Nebenwirkungen sind häufig temporär, daher sollte die Therapie nicht frühzeitig abgebrochen werden (sofern vorübergehend tolerabel). Je älter und kränker der Patient ist und je mehr Begleitmedikation er erhält, desto vorsichtiger auftitrieren. Literatur Schmidt-Wolf G, Cremer-Schaeffer P, Bundesgesundheitsbl 2019, https://doi.org/10.1007/s00103-019-02968-0 (letzter Zugriff: 10.10.2019) Beaulieu P et al., Can J Anesth 2016, 63:608–624 Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, Bundesgesundheitsblatt Nr. 11, 9.3.2017 www.kbv.de/html/online-ebm.php (letzter Zugriff: 10.10.2019) Kurzbericht: „Cannabis: Potenzial und Risiken (CaPRis)“, Bundesgesundheitsministerium 2018, www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/drogen-und-sucht/details.html?bmg[pubid]=3104 (letzter Zugriff: 28.10.2019) Impressum „Erste Daten zur Begleiterhebung – Cannabinoide: Zwei von drei Patienten profitieren“ Literaturarbeit Artikel gedruckt in: InFo Neurologie & Psychiatrie, Band 21, Heft 11, November 2019 Berichterstattung: Dr. Kirsten Westphal, Heimstetten Mit freundlicher Unterstützung der Bionorica ethics GmbH, Neumarkt Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Andrea Krahnert Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Erste Daten zur Begleiterhebung - Cannabinoide: Zwei von drei Patienten profitieren

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