Überzeugende Daten zu NDO, RCC und PCA

Im Rahmen des DGU diskutierte ein renommierter Expertenkreis anhand klinischer Daten den Einsatz von Abobotulinumtoxin-A als neue Option bei Inkontinenz infolge neurogener Detrusorhyperaktivität (NDO). Weitere Themen: die Bedeutung einer Cabozantinib-Nivolumab-Kombinationstherapie beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom (RCC, 1L) sowie die der Androgendeprivationstherapie (ADT) in sämtlichen Stadien des Prostatakarzinoms (PCA). Botulinumtoxin wird seit den 1980er-Jahren in verschiedenen Indikationen und Disziplinen eingesetzt. Für die Neuro-Urologie ist insbesondere die Anwendung bei neurogener Detrusorhyperaktivität (NDO) relevant. „Von NDO Betroffene leiden unter unfreiwilligem Harnverlust aufgrund unwillkürlicher Kontraktionen des Detrusormuskels“, so Prof. Dr. Arndt van Ophoven, Herne. Bei intaktem Blasenschließmuskel kann die NDO zu intravesikalen Hochdrücken führen, welche die renale Filtrationsleistung kompromittieren können. Dadurch können die Nieren dauerhaft geschädigt werden: „Pressure kills kidneys“, so van Ophoven. Die Harninkontinenz bei NDO (NDO-Inkontinenz, NDOI), die zu einer enormen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann, tritt häufig bei Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose (MS) oder Rückenmarksverletzungen auf [1]. „Ziele der Therapie sind Schutz bzw. Funktionserhalt des oberen Harntrakts, eine Reduktion der Harninkontinenz und eine Verbesserung der Lebensqualität“, führte van Ophoven aus. Botulinumtoxin-A-Injektionen in den M. detrusor vesicae sind die wirksamste minimalinvasive Behandlung zur Reduktion der NDO [2]. Infolge der Injektion wird die unkontrollierte Kontraktion des Blasenmuskels durch Blockade der cholinergen synaptischen Transmission an der muskulären Endplatte verhindert, und die Blase ist wieder in der Lage, Urin zu speichern. CONTENT-Studien Die Zulassung für Abobotulinumtoxin-A (AboBoNT-A; Dysport®) wurde vor Kurzem um die Behandlung von Harninkontinenz bei Erwachsenen mit NDO infolge einer Rückenmarksverletzung (traumatisch oder nicht traumatisch) oder MS erweitert, die regelmäßig eine saubere intermittierende Katheterisierung durchführen [3]. Die Zulassungserweiterung stützt sich auf die gepoolte Auswertung der randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Phase-III-Multizenterstudien CONTENT-1 und CONTENT-2, an denen insgesamt 485 Patientinnen und Patienten an über 130 Standorten teilnahmen [4]. Gezeigt werden konnte darin, dass die Behandlung mit AboBoNT-A (600 und 800 Einheiten) im Vergleich zu Placebo ab Woche 2 nach der Injektion zu signifikanten Verbesserungen der wöchentlichen NDOI-Episoden führte (p<0,001; Abb. 1) und dass das Volumen pro Miktion signifikant zunahm (p<0,001) [4]. Abb. 1 CONTENT-1- und CONTENT-2-Studie: Veränderung der Anzahl an wöchentlichen NDOI-Episoden gegenüber dem Ausgangswert; modifiziert nach [4] Springer Medizin Verlag GmbH × Ungefähr ein Drittel der Patientinnen und Patienten in den beiden AboBoNT-A-Dosisgruppen gaben an, unter keinerlei NDOI-Episoden zu leiden, gegenüber 3% in der Placebogruppe. „Diese Reduktion der Harninkontinenz-Episoden führte zu signifikant größeren Verbesserungen der Harninkontinenz-bezogenen Lebensqualität (QoL) in den AboBoNT-A-Gruppen im Vergleich zu Placebo. Die Patientinnen und Patienten sind trockner und besser geschützt“, so van Ophoven. Das Signifikanzniveau lag bei p<0,001. Zudem hätten sich die urodynamischen Parameter Blasenkapazität und Detrusordruck mit jeder AboBoNT-A-Dosis im Vergleich zu Placebo signifikant verbessert – unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung (jeweils p<0,001) [4]. Neue Zulassung „Die mediane Zeit bis zur erneuten Therapie betrug in den beiden Dosisgruppen 39 Wochen (800 Einheiten) und 47 Wochen (600 Einheiten) im Vergleich zu 22 Wochen im Placebo-Arm. Das ist eine überzeugende Wirklänge – ein gutes Behandlungsergebnis“, so van Ophoven. Die Therapie mit AboBoNT-A wurde gut vertragen, und es traten keine klinisch relevanten Unterschiede in der Häufigkeit von Harnwegsinfektionen zwischen Verum und Placebo auf [4]. Dank der erfolgten Zulassungserweiterung kann AboBoNT-A jetzt nicht mehr nur in der Neurologie, sondern auch in der Urologie eingesetzt werden [3]. „Damit ist ein bekannter und bewährter Klassiker sozusagen als ‘new kid on the block’ für die Therapie der NDOI erhältlich“, schloss van Ophoven. Fortgeschrittenes RCC Beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom (Renal Cell Carcinoma, RCC) ist die Ära, in der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) in Monotherapie in der Erstlinie eingesetzt wurden, vorbei, so Prof. Dr. Jan Roigas, Berlin: „Unter Kombinationstherapien mit Checkpoint-Inhibitoren wird definitiv ein deutlich längeres Langzeitüberleben erreicht [5]. TKI-Monotherapien sollten nur noch bei sehr ausgewählten Patientinnen und Patienten verwendet werden.” Den Beleg für diese Strategie hat Roigas zufolge u.a. die Phase-III-Studie CheckMate-9ER geliefert: Darin wurde unter der Erstlinientherapie mit Cabozantinib (Cabometyx®) + Nivolumab (n=323) im Vergleich zu dem vorherigen Behandlungsstandard Sunitinib (n=328) eine überlegene Wirksamkeit beobachtet [6]. Nach einem medianen Follow-up von 32,9 Monaten hatte sich das mediane progressionsfreie Überleben (PFS; primärer Endpunkt) unter Cabozantinib + Nivolumab im Vergleich zu Sunitinib verdoppelt (16,6 versus 8,3 Monate; Hazard Ratio [HR] 0,56; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,46–0,68; p<0,0001; Abb. 2). Der signifikante Vorteil der Kombinationstherapie gegenüber Sunitinib im Hinblick auf das PFS zeigte sich in sämtlichen präspezifizierten Subgruppen [6]. Abb. 2 CheckMate-9ER-Studie, primärer Endpunkt: Progressionsfreies Überleben (PFS); modifiziert nach [6] Springer Medizin Verlag GmbH × Gut wirksam und verträglich Das Sterberisiko war im Kombinationstherapie-Arm um 30% niedriger als im Kontroll-Arm (HR 0,70; 95%-KI 0,55–0,90; p=0,0043), das mediane Gesamtüberleben betrug 37,7 Monate versus 34,3 Monate unter Sunitinib [6]. „56% der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sprachen mindestens mit einer partiellen Remission auf die Kombinationstherapie an, 12% davon sogar mit einer Komplettremission (CR)“, führt Roigas aus. Im Sunitinib-Arm war die objektive Ansprechrate mit 28% dagegen nur halb so hoch, die CR-Rate mit 5% sogar weniger als halb so hoch. Roigas wies darauf hin, dass Cabozantinib + Nivolumab eine gut wirksame und auch verträgliche Behandlungsoption mit einer geringen Therapieabbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen sei. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen höheren Grades (3–4) waren Hypertonie, palmar-plantares Erythrodysästhesiesyndrom sowie Diarrhö. „Zusätzlich zu der klinischen Überlegenheit wurde ein signifikanter Vorteil hinsichtlich der gesundheitsbezogenen QoL erreicht“, so der Urologe [7]. Auf Basis dieser Daten wurde Cabozantinib + Nivolumab als Erstlinienbehandlung beim fortgeschrittenen RCC für alle Risikogruppen zugelassen [7]. Die schon in der Primäranalyse der Studie [8] gezeigte Effektivität der Kombination Cabozantinib + Nivolumab beim fortgeschrittenen oder metastasierten RCC hat zu einem Update der Leitlinie der European Society for Medical Oncology (ESMO) geführt, welche die Kombinationstherapie in der Erstlinie bei allen Risikogruppen mit (I, A; MCBS 4) empfiehlt [9]. Testosteronsuppression beim Prostatakarzinom In der Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinoms spielt die Androgenentzugstherapie (ADT) schon lange eine wichtige Rolle. Sie wird zusammen mit der Radiotherapie und in Kombination mit New Hormonal Agents wie Apalutamid, Enzalutamid sowie Abirateron oder einer Chemotherapie eingesetzt. Wie Prof. Dr. Markus Graefen, Hamburg, deutlich machte, ist die ADT nach wie vor das zentrale Backbone der Therapie: „Auch alle neuen Therapien bauen auf der klassischen ADT, zum Beispiel mit Triptorelin, auf.” In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass das Ziel der Behandlung im hormonsensitiven Stadium die größtmögliche Absenkung des Serumtestosteronspiegels sein muss, Zielwert ist die Absenkung auf <20ng/dL [10]. „Nachgewiesen werden konnte, dass der Testosteronspiegel unter der ADT mit dem Zeitraum bis zur Kastrationsresistenz korreliert“, sagte Graefen [11]. ADT bei Kastrationsresistenz Aber auch in der kastrations-resistenten Situation bleibt die ADT Graefen zufolge die tragende Säule der Therapie. „Für die Fortführung auch beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC), sowohl im nicht-metastasierten als auch metastasierten Stadium, sprechen Studiendaten, die einen geringen Überlebensvorteil bei der Fortführung der ADT gezeigt haben. Zudem wurden sämtliche Medikamente, die beim nicht-metastasierten und metastasierten CRPC zugelassen sind, in Kombination mit ADT untersucht.” Angesichts des nachgewiesenen prognostischen Vorteils, der die Risiken und Nebenwirkungen der Therapie überwiegt, wird die Weiterführung der ADT auch in den Leitlinien empfohlen [10]. „Für die Fortsetzung der ADT beim CRPC spricht zudem, dass Lebensqualität und Nebenwirkungen beim Absetzen der ADT nicht verbessert werden und dass der über den Androgen-Rezeptor vermittelte Signalweg aktiv bleibt“, so Graefen. Literatur Ginsberg D, Am J Manag Care 2013, 19 (Suppl 10): s191–s196 Stöhrer M et al., Eur Urol 2009, 56: 81–88 Fachinformation Dysport®. Stand: Juli 2022 Kennelly M et al., Eur Urol 2022, 82: 223–232 Sharma P, Allison JP, Cell 2015, 161: 205–214 Motzer RJ et al., Lancet Oncol 2022, 23: 888–898 Fachinformation Cabometyx®. Stand: September 2022 Choueiri TK et al., Eur J Cancer 2018, 94: 115–125 Powles T et al., Ann Oncol 2021, 32: 1511–1519 https://uroweb.org/guidelines/prostate-cancer, letzter Aufruf 24.10.2022 Klotz L et al., J Clin Oncol 2015, 33: 1151–1156 Impressum Veranstaltung: „Der Dreiklang der Urologie – eine Sinfonie von Blase, Niere und Prostata“ Symposium anlässlich des 74. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU), Hamburg, 22. September 2022 Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a.M. Report in „Die Urologie“ Band 61, Heft 12, Dezember 2022 Mit freundlicher Unterstützung der Ipsen Pharma GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Teresa Windelen Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature. Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF-Download: 74. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) - Überzeugende Daten zu NDO, RCC und PCA

Die Highlights vom Kongress des American College of Cardiology 2024

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten